Nord- und Südsudan in der Gewaltspirale

Edward Thomas und Guma Komey, Bild: Heinrich-Böll-Stiftung, Lizenz: Creative Commons BY-SA 2.0

15. Juni 2012
Stefan Schaaf
Der Sudan war jahrzehntelang Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen. 2005 wurde der fast 20 Jahre andauernde Bürgerkrieg durch das Comprehensive Peace Agreement (CPA) beendet. Es führte im Juli 2011 zur Unabhängigkeitserklärung des Südens. Seither sind dort Konflikte eskaliert, die die Besorgnis der Weltöffentlichkeit wecken sollten. Gegenwärtig droht der Rückfall in den offenen Krieg. Im Zentrum der Konfrontation stehen mehrere Streitpunkte, die aus dem Weg zu räumen versäumt wurde: Eine Regelung für die Bevölkerung der Nuba-Berge und Südkordofans, der genaue Verlauf der etwa 2000 Kilometer langen Grenze und die Verteilung der Einkünfte aus dem Erdölexport.

Die Herausforderungen der Ära nach der Teilung für Nord- und Südsudan und die Beziehungen der beiden Staaten zueinander behandelt ein neuer Sammelband der Heinrich-Böll-Stiftung: „Sudan After Separation: New Approaches to a New Region – Sudan nach der Teilung“  (die dt. Ausgabe folgt Anfang Juli).

Die beiden Sudans hätten nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die ihnen gebühre, befand Andrea Böhm, Afrika-Expertin der Wochenzeitung „Die Zeit“, die bei der Heinrich-Böll-Stiftung mit drei weiteren Kennern des Landes über Ursachen und Hintergründe der Gewalt diskutierte: mit Edward Thomas, Fellow am Rift Valley Institute, mit Guma Kunda Komey, Experte für Landfragen und Dozent an Universitäten in Khartoum und Halle-Wittenberg, und mit Kerstin Müller, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und Vorsitzende des Unterausschusses für zivile Krisenprävention.

Edward Thomas schilderte, welche Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen Sudan und Südsudan bestehen und warum deshalb die Teilung des Landes, so sehr sie im Süden ersehnt wurde, neue Probleme schuf. Nicht nur wegen des Öls, das im Süden gefördert, aber vom Norden aus verschifft wurde, bis ein Streit um die Pipelinegebühren die Produktion stoppte. Geographisch und klimatisch gibt es große Unterschiede zwischen beiden Staaten: Der Süden ist feucht und fruchtbar, doch im Norden liegen die bedeutenderen Städte, deren Einwohner von der Landwirtschaft des Südens abhängig sind. Und: In den Bundesstaaten entlang der neuen Grenze lebt ein Drittel der Bevölkerung.

Entlang der Grenze gab es immer wieder Versuche, Zusammenarbeit zu ermöglichen, aber auch, Zwist zu säen. Bis in die 1970er-Jahre wurde die Entwicklung der Region von Khartoum vernachlässigt, ethnische Differenzen geschürt. Die großen Rinderherden wanderten jedes Jahr zwischen Nord und Süd hin und her und diese Wanderungen führten immer wieder zu Landkonflikten. Dann versuchte der damalige Militärherrscher Dschafar al-Numairi, die Grenzregion ins Zentrum seiner Entwicklungsstrategie zu rücken und die Landwirtschaft dort mit viel Geld nach modernen Rezepten großflächig umzugestalten. Damit geriet Sudan in eine Schuldenfalle. Die Entdeckung von Öl 1979 habe paradoxerweise die Probleme noch vergrößert, denn sie führte zu neuen Vertreibungen, sagte Thomas.

Südsudan riskiert den wirtschaftlichen Zusammenbruch

Wie Guma Komey erläuterte, beendete das „Comprehensive Peace Agreement“ von 2005 den fast 20-jährigen Bürgerkrieg und ermöglichte die Unabhängigkeit des Südens. Es galt zunächst als Modell, wie man in einem multiethnischen Staat einen Ausgleich der politischen und wirtschaftlichen Interessen verfeindeter Bevölkerungsgruppen herbeiführen kann. Doch jetzt zeigt sich, dass die ungeklärt gebliebenen Fragen zum Sprengsatz für die friedliche Zukunft beider Staaten nach der Trennung werden. In einigen Gebieten – vor allem Abyei, den Nuba-Bergen von Südkordofan und der Provinz Blauer Nil – fand eine vom CPA vorgesehene Volksbefragung nie statt.

Aus Protest gegen drastisch erhöhte Durchleitungsgebühren stoppte der Südsudan im Januar 2012 den Ölexport, mit dem das Land bis dahin 97 Prozent seines Staatshaushalts gedeckt hatte. Außerdem eskalierte die Konfrontation zwischen den beiden Divisionen der südsudanesischen SPLA, die weiterhin in Südkordofan und Blauer Nil stationiert waren, und dem sudanesischem Militär. Thomas nannte den Öl-Lieferstopp „ein waghalsiges Pokerspiel“, bei dem der Süden den wirtschaftlichen Zusammenbruch riskiere, um das Regime in Khartoum ins Wanken zu bringen. Die Frage sei nun schlicht, welcher Seite zuerst die Mittel ausgehen, um Subventionen und die Gehälter der staatlichen Beschäftigten zu bezahlen. Er glaube, dass dies im Süden höchstens noch sechs Monate gut gehen könne. Dabei hielt er es für wünschenswert und durchaus für vorstellbar, dass die Eliten in Khartoum und Juba, der Haupstadt des Südens, zur Zusammenarbeit zurückkehren – etwa nach dem Vorbild von 2008, als die Öleinnahmen in einen Straßenbau-Fonds flossen, um neue Verkehrswege zwischen Norden und Süden zu öffnen.

Komey hielt fehlenden politischen Willen für einen Teil des Problems. Er zitierte die norwegische Entwicklungsministerin Hilde F. Johnson, die an den Verhandlungen zum CPA teilgenommen hatte und ihre Rolle heute kritisch sieht. Die jetzt umkämpften Gebiete seien damals nur als Verhandlungsmasse angesehen worden. Es bestehe die Gefahr, dass dieser Fehler bei dem aktuellen Verhandlungsversuch in Addis Abeba wiederholt werde.

Es brauche angesichts der Gewalthandlungen dringend einen politischen Durchbruch, um Hilfsgüter für die Zivilbevölkerung in die umkämpften Gebiete zu bringen und die Luftangriffe der sudanesischen Luftwaffe zu stoppen – da sei auch die internationale Gemeinschaft gefragt.

Nach dem Auslaufen des CPA sei eine kritische Bilanz nötig. Eine Regelung der offenen Streitfragen müsse darauf hinarbeiten, dass die Grenze zwischen  Nord und Süd möglichst durchlässig bleibt.

Neben diesem Friedensprozess sei ein zweiter erforderlich, der sämtliche Fragen der Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie beider Staaten behandelt.

Staatengemeinschaft hat zu früh weggeschaut

Was die internationale Staatengemeinschaft in dieser Situation leisten kann, legte Kerstin Müller dar. Noch habe sie Hoffnung, dass der Erfolg der mühsamen Verhandlungen nicht völlig zunichte ist. Es sei zwar nicht gelungen, eine gemeinsame Perspektive für beide Staaten zu finden, es sei auch nicht zur Demobilisierung der Kämpfer gekommen und vor allem wurden die geschilderten offenen Fragen nicht geklärt – man begnügte sich mit dem Friedensschluss. Doch der Norden lehnte sogar den Vorschlag ab, eine starke UN-Truppe in den Konfliktgebieten entlang der Grenze zu stationieren. Müller kritisierte, dass Hilfsorganisationen dort keinen Zugang haben und sie bezweifelte, dass die Eliten derzeit zum Kompromiss bereit wären. Man müsse auch die Regionalorganisationen bei ihren Vermittlungsbemühungen unterstützen, aber sie bräuchten die internationale Aufmerksamkeit.

Nötig sei auch, die Regierung in Juba in die Pflicht zu nehmen, über die von internationalen Organisationen bereitgestellten Mittel besser Rechenschaft abzulegen – es sei ja schon ungewöhnlich, wenn Südsudans Präsident Salva Kiir sein Spitzenpersonal öffentlich auffordere, unterschlagenes Geld – eine Summe von immerhin 2,4 Milliarden US-Dollar – zurückzugeben. Sie sprach sich daher dafür aus, weitere Hilfe an Bedingungen zu knüpfen. Gegenüber dem Norden müsse man darüber nachdenken, mit welchen Anreizen man Khartoum zur Kooperation bewegen könne.

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Stefan Schaaf, Freier Journalist

Schriften zur Demokratie, Band 28

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